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PERSONALGESPRÄCHE
Männer, Macher und Motive
Egal welche Art von Schriften und Texten man zum Thema Automobil in die Hand nimmt, häufig trifft man auf Passiv-Konstruktionen: "Es wurde entwickelt", "die Unternehmensspitze entschloß sich ...", "man" tat dieses oder jenes. Aber wer ist "man"? Die Realität wird verschleiert abgebildet, denn letztendlich waren es immer einzelne Menschen oder Teams, die von ihren jeweiligen Überzeugungen getragen irgendwann ihr Ziel erreichten, dabei fast immer Kompromisse eingehend, über zähe und langwierige Verhandlungen, über eine Vielzahl großer und kleiner Hürden. In der Daimler-Benz-Geschichte lassen sich da und dort besondere Strukturen ausmachen, wie beispielsweise “Nallinger und seine drei Heiligen” (Karl Wilfert, Rudolf Uhlenhaut und Josef Müller). Der Ausspruch stammt von Wilfert und bezeichnet diejenige Gruppe von Personen, welche die PKW-Entwicklung im Zeitraum ab Ponton bis zur ‘Neuen Generation’ (1968) maßgeblich bestimmt haben. Trotz des Wechsels von insgesamt fünf Vorstandsvorsitzenden war dieser Umstand laut Josef Müller die wichtigste Voraussetzung für die Konstanz in der Daimler-Benz-Produktphilosophie dieser Epoche. Lassen wir doch mal Schlaglichter auf die Personen fallen, die für die Mercedes-Modelle der 60er, und hier natürlich auch für die Baureihen W108 und W109, verantwortlich zeichneten. Die Steckbriefe der Macher: Uhlenhaut, Nallinger, Scherenberg, Wilfert, Bracq und Co.
Bela Barényi (Karosserie, Sicherheit)
Wolf-Dieter Bensinger (Motorenbau)
Paul Bracq (Karosserie, Design)
Hans-Joachim Förster (Getriebe, Lenkungen, Forschung)
Joseph Gallitzendörfer (Design)
Friedrich Geiger (Karosserie, Stilistik)
Walter Hitzinger (Vorstand)
Josef Müller (Fahrwerkstechnik, Karosseriebau, PKW-Konstruktion)
Fritz Nallinger (Vorstand, “Chefentwickler”)
Kurt Obländer (Motorenbau)
Bruno Sacco (Karosserie, Design)
Hans Scherenberg (PKW-Konstruktion, Vorstand)
Rudolf Uhlenhaut (Rennleiter, PKW-Konstruktion, Fahrversuch)
Erich Waxenberger (Rennleiter, Fahrversuch, Sonderentwicklungen)
Karl "Charly" Wilfert (Karosseriebau, Stilistik, Sicherheit)
Arnold Wychodil (Vertrieb, Vorstand)
Joachim Zahn (Finanzen, Vorstand)
Bela Barényi
(1.3.1907 Hirtenberg A/HU - 30.5.1997 Böblingen) studierte 1924-1926 Maschinenbau an einer privaten Akademie in Wien und behandelte in seiner Diplomarbeit Konzepte zu für die Massenmotorisierung geeigneten Fahrzeugen. Eine Vielzahl von Ideen (u.a. Chassis mit Heckmotor und -antrieb sowie strömungsgünstiger Karosserie) kamen im VW Käfer zur Anwendung, sodaß inzwischen Barenyi als eigentlicher Urvater dieser Konstruktion angesehen wird. Veröffentlichungen seinerseits hierzu, sogar schon mit dem Titel "Der kommende Volkswagen", sind nachweislich auf das Jahr 1925 datiert, wurden seinerseits aber rechtlich nicht geschützt. Zur Feststellung der Sachlage, inbesondere auf die Urheberschaft von einzelnen technischen Lösungen des Käfers (luftgekühler Boxermotor, längsliegend, Differential zwischen Motor und Getriebe), wurde diesbezüglich 1955 sogar prozessiert (Prioritätsstreit gegen Frankenberg), Barenyi konnte sich durchsetzen. Bis zum Eintritt in die Daimler-Benz AG im August 1939 war er für Steyr und Adler tätig, der Vorstandsvorsitzende Haspel selbst entschied sich für den damals noch tschechischen Staatsbürger auf Vorschlag von Wilfert, der Barenyi 1929 bei Steyr kennenlernte, und machte ihn zum Konstrukteur für selbständige Arbeiten im Personenwagenbau. Mit dem Namen Barenyi ist heute untrennbar die Bewertung als Vater der passiven Sicherheit verbunden. Zu ergänzen ist hierbei, dass die Einteilung nach aktiver und passiver Sicherheit auf den Fiat-Ingenieur Luigi Locati zurückgeht (1964). Barenyi veröffentlichte im August 1965 dann das Konzept zur PKW-Sicherheit mit den Kategorien ‘Aktive Sicherheit’, ‘Präventive Sicherheit’ und ‘Passive Sicherheit’. Karl Wilfert reduzierte diesen Ansatz kurz darauf zu einer Zweiteilung; aktiv steht hierbei für die Unfallvermeidung, passiv für die Milderung von Unfallfolgen. Das bekannteste von Barenyis über 2500 Patenten ist zweifelsfrei dasjenige über ein "Kraftfahrzeug, insbesondere zur Beförderung von Personen" (Nr. DE-854157, patentiert im Januar 1951, Bekanntmachung der Patenterteilung im August 1952, ausgelaufen im Januar 1969), mit gestaltfester Fahrgastzelle sowie Knautschzonen vorn und hinten. Die Umsetzung im DB-Personenwagenprogramm erfolgte dabei noch nicht im Ponton, wie man vermuten könnte, sondern in der Heckflossen-Modellreihe von 1959. Später folgte das Konzept zur Sicherheitslenksäule, welches in allen Aspekten erst im W123 realisiert wurde. Obwohl Mercedes in der Fahrzeug-Sicherheit die führende Rolle innehatte, erntete Pininfarina mit der Vorstellung des Prototypen PF Sigma 1963 Lorbeeren, und stand zeitweise im Mittelpunkt des Interesses. Tatsache ist aber, daß die Italiener hierbei auf mindestens acht DB-Patente zurückgriffen, welche Wilfert und Barenyi (Fahrgastzelle, Prallplatte und Sicherheitslenksäule, versenkbare Scheibenwischer, u.a.) zuzuordnen sind. 1965 veröffentlichte Ralph Nader das Buch "Unsafe at any speed" und klagte die Automobilindustrie an, unsichere Fahrzeuge in den Verkehr zu bringen. Obwohl Nader die Fahrzeug-Sicherheit in das Rampenlicht stellte, was Daimler-Benz nur Recht sein konnte, erklärte Barenyi, der Autor habe die Materie im Grundsatz nicht verstanden. Bela Barenyi sah den Rennsport übrigens nicht als Schrittmacher für die Automobilentwicklung an. Er bekundete großen Respekt gegenüber den Machern des NSU Ro 80, was dessen Ausstattung mit Elementen der passiven Sicherheit betraf. Barenyis Abteilung beim Daimler wurde 1953 der PKW-Entwicklung zugeordnet, zwei Jahre später erhielt er den Titel und den Aufgabenbereich des Leiters der Vorentwicklung. Im Dezember 1972 ging Bela Barenyi in den Ruhestand. 1994 wurde ihm wohl die bedeutendste Auszeichnung zuteil: Mit der Aufnahme in die Automotive Hall of Fame steht Barenyi gleichberechtigt neben den Pionieren Daimler, Benz, Diesel, Bosch und Porsche. Seit 2005 vergibt die österreichische Arbeitsgemeinschaft für Motorveteranen (AMV) den Bela-Barenyi-Preis für Persönlichkeiten, die sich um die historische Kraftfahrt verdient gemacht haben.
Wolf-Dieter Bensinger
(26. Februar 1906 Donaueschingen - 17. Juni 1974) Dipl.-Ing., Studium Maschinenbau TU München und Stuttgart, wurde schon als Werkstudent bei Daimler-Benz in Mannheim und Untertürkheim beschäftigt. Es schließt das Studium 1930 mit der Diplomprüfung ab und beginnt 1931 zunächst als Konstrukteur bei der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt in Berlin, wo er später (1941) die Rolle des Abteilungsleiters für Flugmotorenkonstruktion übernahm. Bei der DVL entwickelte er Schiebersteuerungen bis zur Serienreife - er setzte damals bereits die Ideen von Felix Wankel um. Bensinger mag einer der wenigen gewesen sein, die wußten, wie sie Felix Wankel "zu nehmen hatten", also einen, der ein nicht geringes Maß von mehr oder minder divenhaftem Erfinder-Gehabe an den Tag gelegt haben soll. Der Wechsel zu Daimler-Benz erfolgte 1943 als Abteilungsleiter für die Konstruktion von Neuentwicklungen, 1950 schloß sich die Ernennung zum Oberingenieur an. Ab 1965 belegte er den Rang eines Abteilungsdirektors der Motorenkonstruktion für PKW, doch schon davor lagen die neu auszuführenden Nachkriegs-Motoren in seiner Verantwortung, die damals weder Querstrom-Zylinderköpfe aufwiesen noch angenähert halbkugelförmige Brennräume. Schon seit 1960 beschäftigt ihn intensiv die Arbeit am Wankelmotor, einer Quelle zur Folge sollen alle Fahrzeuge mindestens ab Mitte der 1960er bei Mercedes immer auch für eine eventuelle Ausrüstung mit einem Kreiskolbenmotor ausgelegt gewesen sein. Mercedes-Benz wird ein Jahr darauf Lizenznehmer bei NSU und stellt unter seiner Federführung 1969 die damals leistungsmäßig alle anderen Kreiskolbenmotoren überragenden Drei- und Vierscheibenaggregate vor. Erst Jahrzehnte später wird Mazda ein Dreischeibenwankel in Serie auf die Straße schieben und mit einem Vierscheiben-Aggregat in Le Mans eher zufällig gewinnen. Geeignete Laufbahnbeschichtungen entwickelt Mercedes-Benz zusammen mit Hauslieferant Mahle. Einer zeitgenössischen Pressemitteilung ist folgender Satz zu entnehmen: "Als 1960 der Wankelmotor der Öffentlichkeit vorgeführt wurde, nahmen die Beziehungen Bensingers zu Wankel schicksalhaften Charakter an. Allen Unkenrufen und Schwierigkeiten zum Trotz trieb Bensinger als Verfechter des rotierenden Kolbens die Entwicklung des Wankelmotors bei Daimler-Benz voran." Das klingt in dieser Form für die einen nach unbeirrtem Festhalten an Überzeugungen, für andere sieht es aus, als würde sich jemand in etwas verrennen. Nach Aussage von Zeitgenossen soll Wolf-Dieter Bensinger angeblich einmal geäußert haben, daß es Verschwendung wäre, sich noch länger als eine Stunde mit dem Hubkolbenmotor zu beschäftigen. Dies entsprach allerdings nicht der Auffassung des Vorstandes und vieler anderer Kollegen, besonders Fritz Nallinger und seinem Nachfolger Hans Scherenberg, beides ebenfalls ursprünglich Motorenbauer. Nallinger, der 1965 in Pension ging, sah gerade bei den Dichtleisten des Wankels die Unterlegenheit zum Hubkolbenmotor, die niemals die Qualität von drei Kolbenringen besitzen würden. Auto, Motor und Sport beschrieb die Lage 1970 im Hause Daimler-Benz mit "es gibt ein starkes Anti-Wankel-Lager". Zur gleichen Zeit hielt Bensinger Vorträge über den Stand der Kreiskolbentechnik mit dem fürsprechenden Tenor, daß sich für die bekannten Probleme bereits Lösungsmöglichkeiten abzeichnen. Gerade diese Aussagen, "man müsse nur noch Fleißaufgaben bewältigen" und es existieren "Probleme [..], die nicht als gravierend anzusehen sind", befügeln bis heute gewisse Kreiskolben-Fans in ihrer Auffassung über das Potential von Wankelmotoren. Er schrieb weiter: "Die wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung waren die Abdichtungs-Untersuchungen von Felix Wankel, die Lösungen für eine einwandfreie Gasdichtung des Verbrennungsraumes bei geringer Reibung aufzeigten." Sieht wie ein beseitigter Mangel aus. Audi dagegen zeigte Ende der 1970er am Beispiel der Neuentwicklung KKM (oder EA) 871 auf, daß es signifikante Leckgasmengen an den Dichtleisten vorbei bei niedrigeren Drehzahlen und überproportionale Steigerung der Reibung bei hohen Drehzahlen gibt. Bensinger postulierte 1964 in einem Aufsatz, daß eine wichtige Bedingung für den Erfolg des Wankelmotors die Einfachheit der Teile sowie die Möglichkeit deren kostengünstiger Herstellung sein sollte, wobei er davon ausging, daß dies eine Folge der Serienfertigung sein wird (wörtlich "beträchtliche Verbilligung in der Fertigung"). Zuletzt hat Dieter Klauke (Wankelmotorentwicklung bei Fichtel & Sachs) in seinem Buch von 2019 dem widersprochen: Es gibt viele Teile, die sehr präzise zu fertigen sind und damit teuer zu stehen kommen, was sich auch durch hohe Stückzahlen nur in geringerem Umfang verbessern ließe. Man gewinnt den Eindruck, daß Wolf-Dieter Bensinger Prioritäten bei der Motorenbewertung auf seine individuelle Weise vergab, beispielsweise die reine Rotationsbewegung des Kreiskolbens bedeutender einstufte als die Brennraumform, und sich dadurch von den meisten anderen Motorenbauern im Hause Daimler-Benz unterschied. Unterm Strich soll er die Weiterentwicklungen an Hubkolbenmotoren vernachlässigt haben, ohne bei den Wankelmotoren eine für Mercedes-Benz akzeptable Serienreife zu erreichen. In einem Interview teilte der spätere Leiter des Motorenbaus Kurt Obländer mit: “Die Kreiskolben-Euphorie der 60er Jahre hat [...] die Motorenentwicklung lange gebremst. Speziell unser Vierzylinder hatte darunter zu leiden.” Mercedes-Benz hat seinerzeit große Anstrengungen beim Thema Wankelmotor unternommen, niemand sonst baute seinerzeit praxistaugliche Drei- und Vierscheibenmotoren mit Direkteinspritzung. Die Basis für die später sehr erfolgreichen Daimler-Benz-V8-Motoren wurde nicht durch Bensinger, sondern durch seinen Stellvertreter gelegt.Ein Soziologe in Deutschland hatte einst über den Wankelmotor ein Buch verfaßt mit der ungefähren Grundstimmung, daß aus Erfindungen häufig nur deshalb nichts wurde, weil das soziologische Umfeld dies nicht hergab (... Erfinder zu ihrer Zeit nicht die richtige Connections hatten ...). Man muß heute die Frage stellen, ob die Tatsache, daß sich Bensinger und Wankel seit den 1930ern kannten, der Grund war, warum Mercedes überhaupt Kreiskolbentechnik evaluierte und deshalb ca. 100 Mio DM für die Entwicklung ausgab. Diese Frage hat der promovierte Soziologe irgendwie übersehen. Wolf-Dieter Bensinger schrieb drei Motorenbau-Bücher, ging im Sommer 1972 in Pension und wurde noch 1974 Honorarprofessor der Universität Stuttgart.
Paul Bracq
(geb. 13.12.1933 in Bordeaux) liest als Kind Modezeitschriften mit Automobilwerbung und kommt in dieser Zeit mit Saoutchik (Kreationen u.a. Talbot Lago) in Kontakt. Parallel zur Ausbildung als Holzbildhauer an der Ecole Boulle in Paris lernt er technisches Zeichnen und Illustrieren. Nachdem die Revue l’Automobile um 1952 einige seiner Karosserie-Modelle veröffentlicht, wird Philippe Charbonneaux auf ihn aufmerksam und beschäftigt ihn ab 1953/54. Paul Bracq wird etwas später zur französischen Armee eingezogen und kommt als Unteroffizier der Luftwaffe nach Lahr im Schwarzwald. Den Werkstattaufenthalt des Dienst-Adenauers seines kommandierenden Generals in Stuttgart nutzt er, um die Daimler-Benz-Presseabteilung zu besuchen. Bei Gesprächen zeigt Bracq Prokurist Wilhelm von Urach Entwürfe für Mercedes-Modelle, und wird nach einigen Tagen nochmals nach Stuttgart eingeladen. Hier kommt es zur Zusammenkunft mit Karl Wilfert, der Bracq nach Ende seiner Dienstzeit 1958 in die neu gegründete Stilistik-Abteilung aufnimmt. Die ersten Aufgaben umfassen die Mitarbeit am W110 (z.B. Heckleuchten-Variationen) sowie die Gestaltung des 190 SL-Hardtops, kurz darauf die Umsetzung des heute legendären Pagodendachs (W113), ein Aufbau, der allerdings an Michelottis Konzeptauto OSCA 18S schon 1959 zu sehen war und außerdem im Hardtop des späteren R107 fortgeführt wird, was aber in den Sprachgebrauch keinen Eingang fand. Für die IAA 1965 sind dann die Limousinen W108 und W109 vorzubereiten. Nach langer Zeit des Sich-bedeckt-Haltens benennt die Daimler AG inzwischen Paul Bacq als denjenigen, der wohl in der Gruppe der Stilisten den größten Anteil an den Formen des W108/109 hat; auch Bruno Sacco unterstrich dies einst in einem Interview. Beide verweisen aber auf ausgeprägte Teamarbeit bei Daimler-Benz in jenen Tagen. W108/109 besitzen im Gegensatz zu den W111-Coupes keine Mittelsicke in der Karosserielinie mehr, sondern eine Chromzierleiste mit Gummieinlage. Auch werden die Heckflossen entfallen, denen Bracq skeptisch gegenüberstand. Ein Entwurf von 1962 für eine große Limousine besitzt - noch vor dem SL - ein Pagodendach. Er bringt drei der Mercedes-Papstmobile in Form und entwirft noch eine Vielzahl weiterer Modelle wie einen Hochleistungssportwagen mit dem laut einer französischen Publikation inoffiziellen Projektnamen 700 SL als einen der gedanklichen Vorläufer des C111. Nicht wenige Vorschläge Bracqs enthielten übrigens schon Breitbandscheinwerfer für Front und Heck. Was mögen die Gründe sein, die 1967 Paul Bracq veranlaßten, “den Daimler” zu verlassen? Einem Gerücht zur Folge soll die seinerzeit eher an Traditionen und Konventionen ausgerichtete Einstellung der schwäbischen Automobilbauer dazu geführt haben - Zahn ist ab ‘65 Vorstandssprecher! Seiner eigenen Aussage nach war es der Wunsch, in Frankreich ein Design-Studio zu errichten wie es Pininfarina in Italien darstellte. Die Sternwiete hat auch noch eine eigene Vermutung: Es waren mindestens zwei Teams mit der Gestaltung eines Supersportwagens beschäftigt, das eine gebildet aus Paul Bracq und Giorgio Battistella, das andere mit Bruno Sacco und Josef Gallitzendörfer. Die erstgenannten präsentierten 1965 wohl einen “SLX”, die anderen aber wiesen den Weg zum C111, welchen Daimler-Benz dann beschritt; mag sein, daß sich daher ein gewisses Maß an Enttäuschung etablierte. 1967 beendet Bracq seine Tätigkeit bei Mercedes, er wechselt zu Brissonneau & Lotz, wobei Paul Bracq neben Protoypen für Simca und BMW am Interieur des TGV-Vorgängers arbeitet. Doch schon 1970 ruft ihn der Fahrzeughersteller mit dem Propelleremblem nach München und Bracq erhält als Designchef die Aufgabe, komplett neue Generationen von Modellen zu gestalten - die noch heute gültigen Reihenbezeichnungen 3er, 5er, 6er und 7er haben hier ihren Ursprung. Bracq zeichnete für die neue Familie zuerst den E12 5er, der das zweitürige “Garmisch”-Konzept von Bertone (1970) zum Viertürer machte. Hier ist festzustellen, daß die durch Ro 80 eingeleitete Entwicklung auch von Bracq nicht sonderlich beachtet wurde, die neuen BMW hatten allesamt recht mittelmäßige Luftwiderstandsbeiwerte. Aus den beiden Prototypen BMW turbo von 1972 wird keine Serie, jedoch setzt dessen Front BMW zumindest noch 1989 am 8er (E31) um. Bracq hat in München vielfach Entwürfe vorgelegt mit spitz zulaufendem Kühlergesicht, kurzem, abfallendem Heck, was es so aber nur einmalig beim 5er E12 gab, abgedeckten Hinterrädern, konkaven Karosserieelementen und sehr flachen C-Säulen, die man in den Serienmodellen nicht fand. Schon am E23 7er soll sein Einfluß nicht mehr so groß gewesen sein wie bei den früheren BMW-Modellen. Lange hält es ihn aber auch hier nicht mehr in Deutschland, da er angeblich zur Gruppe um Bob Lutz gehörte, welcher 1974 von BMW zu Ford wechselte; im gleichen Jahr kehrt er in die Heimat zurück und wird bis 1996 der Designabteilung von Peugeot angehören, wobei sein Aufgabenbereich jetzt das des Interieurs umfaßt. Für die “Äußerlichkeiten” der Peugeot-PKW ist Gerald Welter zuständig, mit dem Bracq ein langanhaltend produktives Duo bildet. Nachfolger bei BMW wird Claus Luthe, der von NSU kommt und zuvor den wegweisenden Ro 80 gestaltete. Einer der Leitgedanken von Paul Bracq ist es, daß bei der Gestaltung das Image der Marke sowie auch deren Traditionen berücksichtigt werden müssen. Bracq hat nie aufgehört zu malen, er bannte Klassiker unterschiedlichster Hersteller in bunten Farben auf die Leinwand. Für amerikanische Mercedes-600-Fans entwarf er ein W100-Pickup, der dann real umgesetzt wurde, und dies gleich mehr als einmal. Er unterstützte auch die Restauration von Bugatti-Fahrzeugen, darunter den siebenten “Royale” (genannt Roadster Esders). Der Sohn von Paul Bracq, Boris, gründete 2013 eine Restaurationswerkstatt für klassische Mercedes-Fahrzeuge mit Schwerpunkt Pagode: Les Ateliers Paul Bracq.
Hans-Joachim Förster
(geb. 19.Mai 1916 in Breslau) Prof. Dr.-Ing., Studium Maschinenbau 1938 bis 1941, Absolvent der Technischen Hochschule Karlsruhe als Jahrgangsbester, trat anschließend in die Dienste von Daimler-Benz. Zunächst in der Flugmotoren-Entwicklung beschäftigt mit den Schwerpunkten Benzineinspritzung und Zündung, wechselte sein Aufgabenbereich ab 1947 (im Anschluß an eine zweijährige französische Kriegsgefangenschaft) zur Getriebekonstruktion für PKW und Nutzfahrzeuge sowie zur Entwicklung von Servolenkungen. Förster promovierte mit dem Thema "Föttinger-Getriebe in Leistungsverzweigung", habilitierte mit "Wandlungsbereich und Stufung von Fahrzeuggetrieben" und zeichnet für die Eigenentwicklung der Servolenkungen und Automatic-Getriebe verantwortlich, sowohl für die früheren Viergang-Ausführungen mit Hydraulikkupplung als auch der späteren Drei- und Viergang-Wandler-Systeme. Nebenbei bemerkt: Fritz Nallinger vertrat noch Ende der 1950er Jahre die Auffassung, daß ein Mercedes grundsätzlich nur sportlich und deshalb ohne Automatik gefahren werden sollte; wie fest diese Meinung tatsächlich zementiert war, ist allerdings nicht bekannt. Um auf dem nordamerikanischen Markt Fuß fassen zu können, mußten jedenfalls diese Helferlein Einzug in die Modelle halten. Es folgten Lehrjahre: Zusammen mit Dr. Kollmann wurden 1950 die führenden Getriebekonstruktionen Buick Dynaflow, Packard Ultramatic, GM Powerglide und andere gründlichst untersucht und studiert. Die ersten Schritte unternahm man allerdings in der Teilautomatisierung von Handschaltgetrieben, auf Wunsch von Nallinger. Die Lösungen konnten aber nur wenig befriedigen und wurden nicht weiter verfolgt. Nach Aussage Försters war die frühe Nachkriegszeit dadurch gekennzeichnet, daß man vorrangig einfache Lösungen suchte, und den Konstrukteuren deshalb vollkommen neue gar nicht erst ins Blickfeld gerieten. Das dann erste Förster-Getriebe aber zeigte bereits funktionale Vorteile gegenüber der amerikanischen Konkurrenz und hätte im Adenauer zum Einsatz kommen können. Der DB-Vorstand wählte dann jedoch ein Borg-Warner-Modell, angeblich aus Kostengründen, denn mit der Serienfertigung des eigenen Getriebes waren auch vorab umfangreiche Investitionen notwendig. Der tatsächliche Beginn der Automatikgetriebe-Entwicklung liegt in 1955, die Serieneinführung war geplant in 1957, erfolgte aber verspätet 1961 im 300 SE W112. Es handelt sich dabei um einen Viergang-Automaten mit Hydraulikkupplung und zwei Planetenradsätzen, dessen einfacher, kompakter Aufbau den Nachteil besitzt, daß zwischen 2. und 3. Gang beide Radsätze geschaltet werden müssen, was keine sehr gute, sondern nur eine passable Schaltqualität ergibt. Für den W100 ab 1963 "fuhr" man mehrgleisig durch Entwicklungen in zwei Arbeitsgruppen: Zum einen die Weiterentwicklung des Viergang-Automaten für die höheren Drehmomente des V8, und zum anderen die Planung eines Zweigang-Wandlergetriebes, letzteres wird sich bekanntlich nicht durchsetzen. Für den W100 erfand Förster einen besonderen Radsatz, der zuvor aber schon von Howard Simpson erdacht und patentiert wurde. Das Getriebe für den ‘Großen Mercedes’ bereitete viel Kopfzerbrechen, bis man sich kurz vor Serieneinführung des 600 doch für drei Planetenradsätze entschied und den notwendigen Schaltkomfort sicherstellen konnte. Das für Automatikgetriebe zuständige Werk Hedelfingen gedieh nach einiger Zeit zu Europas größter Fertigungswerkstätte. Förster hielt ab 1965 Vorlesungen an der Universität Karlsruhe und wurde bei Daimler-Benz ab 1969 außerdem zum Leiter einer Abteilung für Grundlagenforschung in der Kraftfahrzeugtechnik ernannt. Eines der bedeutenden Ergebnisse war der Aufbau des Fahrsimulators in Berlin, Inbetriebnahme knapp nach seiner Pensionierung in 1984. Förster begeisterte sich privat, als Ausgleich zur beruflichen Tätigkeit im Range eines Direktors der Hauptabteilungen Forschung, Getriebeentwicklung und Meßwesen, für die Landwirtschaft; als Pensionär erfüllte er sich seinen Wunsch und kaufte einen Bauernhof im Allgäu.
Joseph Gallitzendörfer
(19. März 1930 - Feb. 2004 nach Unfall) besuchte 1948 - 1951 die Meisterschule für Porzellan in Selb und anschließend die Staatliche Kunstakademie (später Hochschule für Bildende Künste) in Stuttgart. Parallel trat er ab 1951 in die Dienste des Porzellanherstellers Rosenthal ein im Fachbereich Industriedesign; Gallitzendörfer assistierte in dieser Zeit auch Raymond Loewy. 1960 wechselte er zu Ford nach Köln, fand aber nach wenigen Jahren, am 1. April 1965, den Weg zu Mercedes-Benz. Seine Tätigkeit dort endete erst am 30. September 1995 in der Funktion des Bereichsleiters Design für Personenwagen und Nutzfahrzeuge. Gallitzendörfer verfaßte 1968 offenbar das erste deutschsprachige Buch über Zeichentechniken auf Basis seiner eigenen Seminare und erhielt 1975 einen Lehrauftrag der Hochschule für Gestaltung in Pforzheim. Er war einer der Initiatoren des Studiengangs "Kfz-Design" (später "Transportation Design") und dort ab 1981 Honorarprofessor. Für das Design des C111 soll die Aufgabenverteilung wie folgt gelautet haben: Projektleiter war Bruno Sacco, verantwortlicher Designer Joseph Gallitzendörfer, Modelleur Peter Pfeiffer (der 1968 ebenfalls von Ford zu Mercedes kam). Man kann davon ausgehen, daß dieses Konstrukt bei der Ausgestaltung kommender Modellreihen längere Zeit Bestand hatte; nicht selten wird u.a. bei den 126er S-Klasse-Modellen Gallitzendörfer als eigentlicher Designer genannt. Gallitzendörfer verfaßte Aufsätze über Designthemen in Fachmagazinen, darunter einen aus dem Jahre 1991, in welchem er die seiner Meinung nach häufig vorzufindende Mutlosigkeit vieler seiner Designkollegen bei den führenden Autmobilherstellern unterstrich. Er schrieb außerdem: "Ein Auto ist nicht nur Transportmittel [..] schon früh zeigte sich, daß eine der wesentlichen Funktionen des Autos darin besteht, echte oder auch vermeintliche Attribute seines Benutzers nach außen sichtbar werden zu lassen [..] Das Auto ist Träger von Identitätsmerkmalen seines Benutzers." Trotzdem gäbe es eine Tendenz zu Angleichung, auch zur Internationalisierung des Designs bestimmter Modellreihen unterschiedlicher Hersteller, woraus sich die Gefahr der Entstehung eines Einheitsstils ergäbe. Einer der Gründe sah Gallitzendörfer darin, daß das Automobildesign "ein sehr langsam reagierendes Medium" sei, was einer avantgardistischen Gestaltung eher im Wege stünde. Er plädierte für die Realisierung von Ideen, die mehr als kurzfristig attraktive Gags, kein "Design-Entertainment", sein sollen und bei Automobilherstellern längerfristig zu einer gegenüber der Konkurrenz differenzierenden Produktidentität führten. In einem Spiegel-Bericht (35/1988) wurde er mit der Aussage genannt, "Die neuen BMW-Modelle, der Siebener und der noch frischere Fünfer, hätten eine Form, die schnell veralten würde. Das Mercedes-Styling sei viel zeitloser. Es werde sich daher beim Käufer langfristig besser durchsetzen." Seine Auffassung hat sich so jedoch nicht bestätigt, die größte Prüfung für die Mercedes-Benz-Design-Abteilung mit der S-Klasse von 1991 stand damals noch bevor, obwohl er selbst schon wußte: "Wir brauchen ein Design, das fasziniert und begeistert und sollten den Mut aufbringen, hier Risiken einzugehen. Wir sollten einer Kultur entgegenwirken, deren bestimmende Größe das Mittelmaß, die Langeweile und die Banalität sind." Wenn arrivierte Automobildesigner in gehobener Stellung solch Forderungen stellen, wird jeder Leser unweigerlich das gedankliche Blitzlicht auf die selbst verantwortete Modellpalette legen. Dann werden sicherlich viele Automobilbegeisterte feststellen, daß die überwiegene Zahl von Mercedes-Modellen ab Strichacht bis Mitte der 1990er nicht als sonderlich herausragende Designentwürfe in die Automobilgeschichte eingegangen sind; eine geringere Zahl kann weithin als gelungen betrachtet werden. Danach jedoch, zusammen mit der intensiven Verbreiterung des Modellprogramms, gelangt Mercedes-Benz auf den Pfad, den Gallitzendörfer vordachte: "[..] Design sollte wieder streitbar sein, [..] wir sollten den Mut haben zu einem Design, das sich nicht unbedingt bemühen muß, anpäßlerisch jeden Geschmack zu treffen. Gerade in dem ich die einen begeistere und die anderen in strikte Ablehnung verweise, schaffe ich Differenzierung, und ich meine, daß wir diese in Zukunft mehr denn je brauchen werden." Der reinen Form-Follows-Funktion-Denke hätte sich das Auto nach Gallitzendörfer übrigens immer schon entzogen. Eines seiner privat favorisierten Themen soll die Gestaltung von Flugzeugen gewesen sein.
Friedrich Geiger
(24.11.1907 Großsüßen - 13.6.1996 Bad Überkingen) Wagner-Lehre ab 1921, Studium Fahrzeugbau 1930-1933, parallel Meisterprüfung als Stellmacher 1931, ab Ende des Studiums Mitarbeiter der Daimler-Benz AG. Geigers Lebensweg zeichnet eine Person, die einen Dreiklang zwischen Handwerk, Ingenieursdenke und künstlerisch-gestalterischer Denke anstrebt. Noch lange Zeit steht bei ihm Weiterbildung auf dem Programm, in Zeichnen, Malen und Kunstgeschichte, an Akademien, Volkshochschulen und bei Privatdozenten. Ein Glanzstück in seinem Wirken unter Ahrens ist die Spezial-Roadster Karosserie des luxuriösen 500er Kompressor-Modells. Nur wenige Jahre nach dem Wiedereintritt bei den Schwaben 1950 (Unterbrechung aufgrund kriegsbedingter Neuorganisation des Unternehmens) gelingt ihm 1953/54 mit dem 300SL (auf Basis des Uhlenhautschen Rennsportwagens) ein weiteres - für viele Automobilisten und -journalisten der Sportwagen des Jahrhunderts. Der horizontal orientierte SL-Kühlergrill mit dem mittigen Stern hat hier seinen Ursprung und soll aus seiner Feder stammen. Das Patent für die Verdeckkonstruktion der SL-Typen, bei welcher auf den Einsatz einer Persenning verzichtet wird und das Stoffdach unter einer Klappe verschwindet, trägt Geigers Namen. Bestimmenden Einfluß übt Geiger bei den meisten Mercedestypen der Nachkriegszeit aus, wenngleich diese nicht immer direkt ihm zugeschrieben werden. An den vor dem 300SL erschienenen Modellen der Typen 300S soll Geiger dagegen weniger Anteil gehabt haben, man sieht hier eher Ahrens bzw. Häcker, und beim namensgebenden Detail des W113, dem Pagodendach, führten vorrangig Barenyi und Bracq die Feder. Auch können die Sindelfinger Karosseriegestalter, zu denen Geiger mit seinem Chef Wilfert ja zählte, nicht punkten bei ihrer Vorstellung zur ersten Mercedes-Benz-Generation in Ponton-Bauweise; diese stellt Untertürkheim. Vermutlich ist der allererste Erlkönig (Auto, Motor und Sport vom Juli 1952), mit ziemlich “feisten Bäckchen” rundum, festgehalten in einem eher unscharfen Schwarz-Weiß-Foto, genau deren Vorschlag für den 180, welcher nicht zum Serienfahrzeug wird. Der daran beteiligte Ingenieur Josef Müller bemerkte hierzu: “Den Sindelfinger Herren fiel es sichtlich schwer, sich von Kühlerhaube und geschwungenen Kotflügeln zu trennen”. Bekanntlich wird eine Stilistik-Abteilung in den 1950ern gegründet, der später auch Paul Bracq und Bruno Sacco angehören. Eine weitere Modellreihe, die vorrangig mit Friedrich Geiger in Verbindung gebracht wird, sind die W111 Cabrio und Coupe, für welches Bruno Sacco die Worte fand: “The 1961 220SE Coupe is one of the most beautiful Mercedes ever designed, but not only that: It is one of the most beautiful cars ever designed anywhere. ... The treatment of the rear fender, the C-pillar and the rear windscreen were sufficient to elevate this design to immortality.” Was Sacco vergaß mitzuteilen war, daß Mercedes diese Gestaltung der C-Säule und des Heckfenster-Schnittes ziemlich genau dem 1955er Chrysler 300 Coupe entlehnte. Die Leitung der Stilistik-Abteilung lag bei Friedrich Geiger, der wiederum Karl Wilfert verantwortlich war. Auffallende Merkmale der Arbeitsweise von Geiger sollen Ruhe, Fleiß, Disziplin und Strenge gewesen sein. Nachfolger von Friedrich Geiger, der gegen Ende seiner Laufbahn intern den Titel Abteilungsdirektor führte, wurde 1975 Bruno Sacco.
Walter Hitzinger
(8.4.1908 - 26.Juli.1975) Baurat h.c. Dipl.-Ing., studierte an der TU Wien Maschinenbau mit Abschluß im Jahre 1934. Kurz darauf trat er in die Dienste der Steyr-Daimler-Puch AG, bei der Hitzinger sieben Jahre im Bereich Spezialfahrzeuge arbeitete. 1942 wurde er technischer Zentraldirektor des größten deutschen Flugmotorenwerkes bei Wien. Noch während des Krieges übernahm er die Generaldirektion und den Vorstandsvorsitz der österreichischen Saurer Werke (Nutzfahrzeuge). Die gleiche Position wie bei Saurer wurde ihm ab 1952 bei den Vereinigten österreichischen Eisen- und Stahlwerken (VÖEST) geboten, er führte hier bis zu seinem Wechsel zu Daimler-Benz 1961 modernste Fertigungsverfahren ein, die die Steigerung der Stahlproduktion von 200.000 auf 1.800.000 jährlich ermöglichten. Hitzinger trieb auch ein bei VÖEST entwickeltes Produktionsverfahren in organisatorischer und kaufmännischer Hinsicht voran, sodaß das Unternehmen dieses über Lizenzvergabe wirtschaftlich erfolgreich am internationalen Markt verwerten konnte. Die Ernennung zum Vorstandsvorsitzenden am 10. Februar 1961 bei Daimler-Benz erwirkte DB-Großaktionär Friedrich Flick. Diese Aufgabe Hitzingers wird durchgehend kritisch bewertet, selbst die eher zurückhaltend formulierende Unternehmenschronik der Daimler-Benz AG beschreibt die Situation wie folgt: "Hitzinger [...] konnte sich nur schwer in die [...] völlig andere Unternehmenskultur einfügen. [...]. Die Vorstandskollegen [...] übten hinhaltenden Widerstand aus oder führten ihre Bereiche am Generaldirektor vorbei. Hitzinger scheint diese Entwicklung nur teilweise wahrgenommen zu haben." Der Aufsichtsrat vergab beispielsweise direkt an Zahn den komplexen Auftrag, die Auto-Union aus dem Unternehmensverbund zu lösen. Ingenieur Fritz Naumann erinnert sich, Hitzinger habe auf recht platte Art seine "soziale Verantwortung zur Schau stellen" wollen, in dem er an Arbeiter am Fließband Flaschenbier verteilte. Ziemlich unbeliebt bei den Ingenieuren in den Entwicklungs- und Konstruktionsabteilungen machte er sich durch die Entscheidung, die Privatnutzung von Testwagen zu untersagen; gleichzeitig vergrößerte er aber seinen eigenen Fuhrpark. Fritz B. Busch mokierte sich über Hitzingers Auftritt zur ‘61er IAA, auf welcher er - unpassend für einen Konzernlenker - im Halbarm-Hemd auftrat. Auto, Motor und Sport charakterisierte ihn im Vergleich zum nachfolgenden Joachim Zahn als kurzatmig-cholerisch. Hitzinger glaubte aufgrund der positiven Unternehmensentwicklung noch 1965, daß sein Vertrag verlängert würde, erkannte dann aber die aufkommenden Widerstände und zog sich offiziell aus gesundheitlichen Gründen zurück. Daimler-Benz verabschiedete sich in der Kundenzeitschrift ‘Mercedes-Benz in aller Welt’ von Hitzinger mit den Worten: "In den Jahren seiner Tätigkeit hat das Unternehmen seine erfolgreiche Entwicklung fortsetzen können."
Josef Müller
(1900 Stelzlhof - 1995), Dipl.-Ing. TH München, Eintritt bei DB 1927, 1945 Hauptgruppenleiter der PKW-Vorentwicklung, 1950 Oberingenieur, hat als Student noch "den alten Benz ... auf seinem Dreirad durch München tuckern sehen". Er schloß sein Studium in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit ab, hatte deshalb kurzfristig wenig Chancen auf eine Anstellung und versuchte sich im ersten Ansatz als Hersteller von Motorradsatteln. Müller war nach eigener Aussage "von jeher aerodynamischen Formen zugetan", sah als potentielle Arbeitgeber neben der Flugzeug- aber auch die Automobilindustrie. Regional nicht erfolgreich, klappte es in Stuttgart nach einer Vorstellung bei Max Wagner (1927) - er startete, für ihn etwas ernüchternd, als Detailkonstrukteur. Schon seit seinem Beginn bei Daimler-Benz konnte er sich wenig für die Motoren mit untenliegender Nockenwelle und den Starrachsen der Serienautos wie ‘Mannheim’ und ‘Stuttgart’ begeistern, selbst über Traumwagen der Zeit hatte er eine eigene Meinung: "Die S- & SSK wären schon eher das, was sich mein unruhiger Geist unter einem Mercedes vorstellte. Es waren dies zwar keine ausgesprochenen Rennwagen, sie erzielten aber viele Rennsiege." Sein Wunschtraum für ein Automobilfahrwerk war der "Kurvenleger", d.h. Fahrzeuge, deren Karosserie sich nach kurveninnen legt. Testweise realisierten Kollegen dies einmal für ihn auf Basis eines hydropneumatisierten W112, mit manueller Handsteuerung. Wichtige Arbeiten Müllers in der Vorkriegszeit betreffen die neue Einzelradaufhängung des 170er (vorn Schwingachse mit Doppelquerblattfeder, hinten Zweigelenk-Pendelachse), was die Fahreigenschaften erheblich verbesserte aufgrund des niedrigen Schwerpunktes, deutlich reduzierter, ungefederter Massen und auch der geringeren Seitenneigung dank des hohen Momentanzentrums der Hinterachse. Notwendig war für die Einzelradaufhängung die Umgestaltung des Fahrzeug-Chassis mit stabilerem Rahmen wegen jetzt höherer Beanspruchung; Müller wählte eine Ovalrohrausführung in X-Anordnung, die weithin Beachtung fand. Parallel dazu konstruierte er 1934 ein Fahrzeug mit strömungsgünstiger, Käfer-ähnlicher Karosse (Müller waren die Untersuchungen der Luftströmungen von Paul Jaray seit Studienzeiten bekannt), querliegendem Motor vorn und Frontantrieb; es blieb allerdings bei Reißbrett-Überlegungen - das wäre jedoch ein für Jahrzehnte wegweisender Volkswagen gewesen. Müller verlor als Automobilbauer nie die Kundenanforderungen aus den Augen. Schönheitsmerkmale der 500/540K waren beispielsweise der hinter die Vorderachse zurückgesetzte Kühler und die lange Motorhaube mit entsprechend wenig Platz für Passagiere und Gepäck - zweifelsfrei gefällig, aber im Sinne des Ingenieurs zukünftig nicht mehr praktikabel. In späteren Jahren, nach Aufgaben auch im Rennwagenbau, konnte er sich am ehesten mit Vorstellungen und Bedürfnissen für Mittelklasse-Fahrzeuge "identifizieren" - allerbeste Voraussetzungen also für die Aufgabe des Chefkonstrukteurs der Strichacht-Baureihe. Doch weniger für die Topmodelle: Als Konstruktionsleiter konnte er die Beschäftigung mit dem Mercedes 600 insgesamt nicht zur "eigenen Sache machen", es stellte sich nicht das "rechte Hochgefühl" ein, obwohl er dem W100 "seltene technische Vollkommenheit" bescheinigte. Schon direkt nach dem Krieg ernannte Nallinger Müller zum Oberingenieur und vertraute ihm die Leitung der neuen Abteilung Konstruktions-Vorentwicklung an. Damit hatte er auch wesentlichen Anteil an der kommenden Fahrwerkstechnik (Fahrschemelbauweise, Eingelenk-Pendelachse) wie auch am Übergang auf die selbsttragende Bauweise des Ponton. Müller war Angehöriger der Daimler-Benz AG von 1926 bis 1967, also bis zum Abschluß der Entwicklung und Serieneinführung der ‘Neuen Generation’ von Mittelklassenmodellen, und besaß während dieser Zeit zusammen mit Förster und Uhlenhaut den gleichen Wohnort: Stuttgart-Riedenberg.
Fritz Nallinger
(geb. 6.8.1898 in Esslingen - 4.6.1984), Prof. Dr.-Ing., studierte Maschenbau in Karlsruhe, war am Ende des 1. Weltkriegs noch als Pilot im Einsatz und begann seine Laufbahn 1922 mit dem Eintritt bei Benz&Cie. Gegenstand seiner Diplomarbeit war die Konstruktion eines Hochleistungsmotors. Nallinger wechselte 1925, also noch vor dem Zusammenschluß von Benz und Daimler, zur Daimler-Motoren-Gesellschaft. 1935 stieg er auf zum Technischen Direktor, um nur fünf Jahre später in den Vorstand der Daimler-Benz AG berufen zu werden; diese Position sollte er ein Vierteljahrhundert lang bis zu seiner Pensionierung im Dezember 1965 behalten. Schon sein Vater Friedrich zählte zum Vorstand bei Benz&Cie, und so war ein späterer Aufgabenbereich für Fritz in der Automobilbranche mehr als naheliegend. Immerhin gelten die 1920er Jahre noch als Epoche, in der Fahrzeuge nicht in Massen gefertigt wurden, und in der die erst wenige Jahrzehnte alte Mobilität ohne Pferde immer noch ein großes Abenteuer bedeutete - und eines für Begüterte. Selbst über die 1930er Jahre wird noch berichtet, daß Automobilkonstrukteure selten eigene Fahrzeuge besaßen. Fritz Nallinger dagegen hatte in jungen Jahren schon die Möglichkeit, Rennen mitzufahren. 1923 belegte er mit einem Benz-Modell hinter Caracciola den zweiten Platz bei einem Rennen in Baden-Baden. Nallinger wird sich übrigens später trotz des LeMans-Unfalls von 1955 für die Fortsetzung der DB-Rennsportaktivitäten aussprechen. In den Zuständigkeitsbereich von Fritz Nallinger als Vorstand für Forschung und Entwicklung der Daimler-Benz AG fiel so gut wie alles, was mit motorischer Fortbewegung zu tun hat: PKW, LKW, Busse, Groß- und Flugmotoren, außerdem Querschnittsthemen wie das der Sicherheit. Nallinger gilt als Pionier der Plattform-Strategie im PKW-Produktprogramm, welches die Schwaben erfolgreich mit dem Ponton einführten und mit der Heckflosse fortsetzten. Beim Übergang von der Rahmenbauweise der 170er- und der 300er-Modelle auf die selbsttragende Karosserie waren besondere Probleme hinsichtlich der Fahrgeräusche zu lösen. Nallinger machte einen wegweisenden Vorschlag, nach welchem Fahrwerksteile nicht direkt, sondern über einen Fahrschemel (zwischengeschalteter Achskörper) mit der Karosserie verbunden werden sollten. Lenkung, Federn, Stoßdämpfer und Radaufhängungskomponenten werden am Fahrschemel eher straff und hart befestigt, wohingegen der Schemel selbst durch wenige, weit auseinanderliegende und merklich weichere Gummielemente mit der Karosse verbunden sind. Dieser Aufbau verspricht einerseits Fahrkomfort durch Vermeidung der Übertragung von Fahrgeräuschen, andererseits bleibt die erforderliche Präzision des Fahrwerks erhalten. Nallinger hat den Beginn der Wankelentwicklung noch mitgemacht und legte beim Blick auf die kreisenden Kolben auch gleich den Finger auf offensichtliche Wunden: Die eine Dichtleiste je Kante kann niemals die gleiche Abdichtungsqualität bieten wie drei Kolbenringe. Zu Zeiten eines Fritz Nallinger bei Daimler-Benz herrschte die Philosophie vor, daß nur die Techniker wissen können, was für Kunden die korrekte Lösung sei. Nallinger soll seinen Vorstandskollegen neue Modelle stets erst dann vorgestellt haben, wenn diese praktisch schon fertig entwickelt worden sind. Die Fahrzeug-Entwicklung von Daimler-Benz wird verantwortlich ab Ponton-180 bis zur Mittelklasse Ende der 60er von Nallinger und “seinen drei Heiligen” Uhlenhaut, Wilfert sowie Müller bestimmt. Nallinger trat einst sogar im deutschen Fernsehen auf und stellte Mitte der 60er die neuen Modelle vor. Direkt mit dem Namen Fritz Nallinger sind zwei ganz besondere Fahrzeuge verbunden: Es handelt sich zum einen um das sogenannte Nallinger-Coupé, ein Prototyp auf Basis des Mercedes 600, das vom Chefingenieur selbst in Auftrag gegeben wurde, und zum anderen um ein W112 300 SE Coupé Landaulet, welches Paul Bracq entwarf.
Kurt Obländer
(30.11. 1927 Karlsruhe - 23.10. 2008 Rommelshausen) Abitur, Lehre Kfz-Handwerk, Diplom-Ingenieur Maschinenbau TU Karlsruhe mit Abschluß 1954. Kurt Obländer arbeitet bereits als Diplomand für Daimler-Benz und untersucht zum Studienabschluß Klopferscheinungen am direkteinspritzenden M198, den er nach einer Anfrage beim künftigen Arbeitgeber in Einzelteilen gestellt bekommt und selbst zusammenbaut. Aber nicht nur das: Als Leihwagen fuhr er einen 300 SL ... Obländer beginnt 1955 als Versuchsingenieur und arbeitet einige Jahre später schwerpunktmäßig am V8 des Typs M100, welcher zuerst für Vortrieb im 600 sorgen wird und lange Zeit - ab Mitte der 70er Jahre gar mit 6.9 Litern - Deutschlands hubraumstärkstes Triebwerk für Serien-PKW darstellt. 1965 übernimmt er, nachdem in Stuttgart auf seine Initiative hin der erste Abgasprüfstand in Betrieb geht, die Leitung des Versuchs für Einspritzmotoren, und ab 1971 dann die Leitung des gesamten Pkw-Motorenversuchs. Im Jahr zuvor war er Teilnehmer einer Anhörung zum Thema Abgasproblematik von Personenkraftwagen in Kalifornien. Kurt Obländer schrieb auch Artikel für die Fachpresse, allerdings nicht für bekannte “Autotestblätter” u.a. über den 1972 neuen Motor M110 mit zwei obenliegenden Nockenwellen, oder eine ausführliche Bewertung über Erkenntnisse zur Klopfsensorik und daraus abgeleiteten Maßnahmen für die Praxis am Beispiel des zuvor genannten M110. Er bewertet bei Wankelmotoren die grundsätzlich nicht behebbaren Nachteile als konzeptbedingt und sieht in dieser Richtung praktisch keine Zukunft. Vom Zweitakter hielt er ebenfalls nichts aufgrund des mangelhaften Wirkungsgrades. Zum Dr. Ing e.h. promoviert ihn die Universität Kaiserslautern am 19. August 1975 "in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen und Verdienste auf dem Gebiet der Entwicklung schadstoffarmer Fahrzeugantriebssysteme". Gegenstand seines Handelns war immer die Verbesserung der motorischen Verbrennung sowohl bei Otto- als auch Dieselmotoren mit dem vorrangigen Ziel der Verminderung von Schadstoffkomponenten, ohne jedoch eine Verschlechterung des Wirkungsgrades herbeizuführen. Die erfolgreichen V8-Motoren M116 und M117 werden über viele Jahre auch in seiner Verantwortung fortentwickelt und ab 1979 serienreif verfügbar für die dann neue S-Klasse in Leichtmetall ausgeführt. 1984 baute man für das Land Baden-Württemberg drei W123 230 E mit Katalysator und startete damit einen Modellversuch, obwohl es so gut wie keine Tankstellen für bleifreien Sprit gab. Man behalf sich mit neuen Zapfsäulen am Landesgewerbeamt Stuttgart. Den heute äußerst aktuellen Rußpartikelfilter bei Dieselfahrzeugen bietet Mercedes-Benz ab 1985 in den USA an - leider noch nicht zur vollsten Zufriedenheit. Als Leiter der Pkw-Motorenentwicklung (1988) gelingt Kurt Obländer die Entwicklung und Einführung des 300 KW leistenden 6-Liter-V12-Motors, für welchen es anschließend noch diverse Modifikationen durch AMG geben wird. Ende Juni 1991 verabschiedet sich Kurt Obländer in den Ruhestand, er bekam von seinen Mitarbeitern als Geschenk ein 1:5-Modell seines V12. Als Kernaufgabe in seinem Ruhestand sah er Aktivitäten im Naturschutz, schließlich betrieb Kurt Obländer seit langem privat die Vogelkunde - er wäre angeblich auch beinahe Oberförster geworden ...
Bruno Sacco
(12.10.1933 Udine/IT) sah sich angeblich seit dem 16. Lebensjahr zunehmend vom Themenbereich des Karosseriedesigns angezogen, prägend insbesondere von Loewys Studebaker-Modellen der frühen 1950er Jahre. 1986 ließ Sacco wissen, “Raymond Loewy habe durch sein Schaffen die Berufsgruppe der Designer überhaupt erst möglich gemacht” - Loewy wäre somit, in logischer Konsequenz, der größte aller Designer. Studium in Turin, erste Aufgaben bei Ghia, wurde kurz nach Paul Bracq 1958 von den Stuttgartern engagiert und Wilfert/Geiger unterstellt, wechselte später für mehrere Jahre zu Bela Barenyi in die Karosserie-Vorentwicklung. Ab 1970 führte Sacco die Karosserie-Konstruktion innerhalb der Hauptabteilung Stilistik, 1975 war er dann deren Leiter. Die Hauptabteilung wurde 1987 zur Direktion erhoben. Schon 1991 stand er 150 Modellbauern, 100 Designern und 90 sonstigen Spezialisten vor, und wie man leicht sieht, ist Automobildesign tatsächlich ein Gruppenprozeß. Doch muß man dann wirklich allein dem offiziellen Chefdesigner auf die Schulter klopfen, wenn denn mal was Ansprechendes auf die Räder gestellt wurde? Sacco schied im März 1999 aus den Diensten von Daimler-Benz, sein Nachfolger wurde Peter Pfeiffer. Nach eigener Aussage war Sacco bei den W108/W109-Modellen an der Gestaltung des Interieurs beteiligt. Als Highlights unter seiner Ägide können die 126er Limousine und Coupe gelten, wobei er für deren seitliche Karosserieschutzelemente gar seinen Namen hergeben mußte; sie werden landläufig als “Sacco-Bretter” bezeichnet, waren jedoch nicht neu, denn zuvor mindestens schon beim 1970er Ford Mustang zu sehen. Daß die gestaltungsarmen Alufelgen der gemopften 126 als “Gullideckel” in den Sprachgebrauch der Mercedes-Fans eingehen, hat ihm wohl auch weniger gefallen. An den C126 kritisierte er selbst u.a. die Türgriffschalen, wobei sich jeder fragt, warum er als Design-Chef solch Details dann nicht seinem Augenmaß entsprechend ausgestaltet hat. In einem Aufsatz von 1988 hielt er die 190E und 300E (W201/W124) für Meilensteine der Automobilgeschichte, wobei dies die angesprochene Automobilgeschichte selber weniger so sehen wird. Im gleichen Dokument bescheinigte er den Strichacht-Modellen gegenüber den früher erschienenen W108 “lack of proportions” - ein Mangel an (ästhetischen) Proportionen ... Die V-förmige Kofferdeckelgestaltung des W124 hatte übrigens bereits die Lancia Gamma Fließhecklimousine von 1977. Entgegen der üblichen Auffassungen vertritt Bruno Sacco die Meinung, im Showcar Ghia Gilda liegen die Wurzeln der automobilen Heckflossen. Auf die Frage, welches Fahrzeug anderer Gestalter ihm besonders gefällt, sagte er der Automobil-Revue, daß dies der Ferrari 512 BB wäre, der weitgehend die Front vom C111 bekam. Große Wellen schlug bekannlich die optisch nicht gelungene Ablösung der 126er durch die Modellreihe W140 in seiner Verantwortung, wobei sich die Schwaben regelmäßig wiederkehrend allein auf die Größe herausreden möchten. Ab den 2000ern hat die Welt mit noch viel wuchtigeren Mobilen im Straßenverkehr zu kämpfen, aber Mercedes’ W140 ist im Rückblick keineswegs attraktiver geworden, was die damaligen Gestaltungsmängel nur unterstreicht. Erstaunlich ist die Aussage von Bruno Sacco von 1986 zum W116: “1972 hatten wir eine S-Klasse präsentiert, die die unendliche Ausschöpfbarkeit des Universums ausdrückte ... ein Nachfolger in der gleichen Richtung ... hätte leicht monströse Züge haben können.” Aber es steht keine fünf Jahre später der W140 auf dem Genfer Salon. Nach der unerwartet breit geführten, öffentlichen Kritik am W140 (Ästhetikprofessor Bazon Brock: “Das Auto sieht aus wie der Bundeskanzler”, ADAC Motorwelt: “Klobige Aufdringlichkeit wie ein Elefant im Porzellanladen”) mußte sich das Mercedes-Benz-Design neu aufstellen - aber nicht nur deshalb. Auto, Motor und Sport machte zwei Jahre nach Erscheinen des R129 SL, den Bruno Sacco eigentlich für besonders gelungen hält, eine Leserumfrage, nach welcher die Schwaben in Hinblick auf die Designqualitäten gegenüber den Münchnern mit dem Propelleremblem sehr deutlich Federn lassen mußten (Originalton: “Die Marke Mercedes [kommt] bei der Frage nach gut gestylten Autos kaum jemandem in den Sinn”). Falls die Design-Abteilung den Artikel gelesen haben sollte, muß es ein kräftiger Schlag in die Magengrube gewesen sein - solch Meinungen bilden sich schließlich nur langfristig und nicht aus einer Laune heraus. Eine der ersten Maßnahmen nach Erkennen des Design-Mankos gegenüber der Konkurrenz war auf dem Genfer Salon 1993 keine bloße Darstellung der technischen Möglichkeiten von Mercedes-Benz, sondern (angeblich erstmals und für die Stuttgarter Autobauer ungewöhnlich) eine Design-Studie. Bruno Sacco wird als Schöpfer der früheren Mercedes-Designphilosophie gesehen - die “horizontale Homogenität” (ähnliche, typische Designelemente an verschiedenen Modellen) ermöglicht die eindeutige Zuordnung als Mercedes-Produkt und die “vertikale Affinität” verweist auf die Identität zeitlich aufeinanderfolgender Modellgenerationen. Spannende Ansicht: Technisch-physikalisch wird für zeitliche Darstellungen meist die (horizontale) X-Achse verwendet - verdrehte Welt, im Kopf der Designer ... aber diese zweidimensionale Denke wurde schon gegen Ende der 1990er aufgegeben, als sich die Modellpalette deutlich ausweitete. Sacco wurde Mitte der 2000-Jahre in die amerikanische und europäische Automotive Hall of Fame aufgenommen.1988 ließ er in einer US-amerikanischen Veröffentlichung verlautbaren: “I would just like to say there are ups and downs in the design history of every major company.” - ita est. Eine der besonderen und länger anhaltenden Hochphasen bei Daimler-Benz endete nach Einstellung der Modellreihen W113 SL, W108, W109, W100, W111 Coupe/Cabrio - und mit Verzicht auf den C111.
Hans Scherenberg
(28.10.1910 - 17.11.2000) Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. h.c., in Dresden geboren, in Heidelberg aufgewachsen, studierte Hans Scherenberg Maschinenbau an der Universitäten Stuttgart und Karlsruhe. Beim Eintritt 1935 in das Unternehmen Daimler-Benz lag sein Aufgabenbereich in der Erprobung des ersten Diesel-PKW vom Typ 260D, in der Leistungssteigerung und in der Weiterentwicklung des Vorkammer-Verfahrens. Anschließend war er in der Flugmotorenentwicklung tätig mit den Schwerpunktthemen Benzineinspritzung und Ventilsteuerung für Viertakt-Höhenflugmotoren, was auch Gegenstand seiner Promotion 1942 war. Prof. Scherenberg zählte zum Team für die Höchstgeschwindigkeits-Weltrekordversuche mit propellergetriebenen Flugzeugen 1939 und stieg bis 1943 zum Leiter des Prüffeldes für Flugmotoren auf. Nach Kriegsende fand Scherenberg für kurze Zeit neue Aufgaben beim Ingenieurbüro Schnürle, kam darüber 1948 als technischer Leiter zu Gutbrod und entwickelte zusammen mit Karl-Heinz Göschel die erste (Zweitakt-)Benzineinspritzung für Serien-PKW. Fritz Nallinger holte Scherenberg bereits 1952 zurück nach Stuttgart und bot ihm die Position des Direktors der PKW-Konstruktion an. Schon kurz darauf debütierte unter seiner Leitung der 300SL als erster Serien-PKW mit Viertakt-Einspritzmotor. Parallel befaßte er sich mit Anti-Blockier-Einrichtungen und meldete diesbezüglich 1953 ein eigenes Patent an. In seinen Verantwortungsbereich fällt auch die Einführung der selbsttragenden Karosserie in den Ponton-Modellen, außerdem entwickelte er zusammen mit Rudolf Uhlenhaut und Josef Müller die Eingelenk-Pendelachse mit tiefgelegtem Drehpunkt. Hans Scherenberg wurde 1955 stellvertretendes Vorstandsmitglied für Großmotoren und Gasturbinen und folgte 1965 Fritz Nallinger im Vorstand der Daimler-Benz AG nach. Die wichtigste Aufgabe war nun die marktreife Entwicklung der Mercedes-Mittelklasse als ‘Neue Generation’ bis zur offiziellen Vorstellung Januar 1968; im Anschluß daran hieß es, die Einführung des R107 (1971) und der S-Klasse W116 (1972) in Angriff zu nehmen. Scherenberg sprach sich gegen Rennsporteinsatz in der höchsten Klasse aus (Grand Prix mit Formelrennwagen), da seiner Ansicht nach dort schon seit den 1930ern Technologien wie beispielsweise Titanpleuel Verwendung fanden, die niemals in der Fahrzeug-Massenfertigung Einzug halten können. Allerdings setzte er sich im April 1972 bei einer Vorstandssitzung dafür ein, daß zumindest Privatfahrer durch eine eigene Sportabteilung unterstützt werden. In späteren Jahren, als Leiter und Vorstandsmitglied mit mehreren tausend Mitarbeitern, war er natürlich weniger im technischen Tagesgeschäft tätig, sondern legte die Richtung vor und war verantwortlich für den Erfolg seiner Teams. Scherenberg war eher als Mann der leiseren Töne bekannt und stellte sich nie selbst, sondern vorrangig seine Mitarbeiter in den Vordergrund. Er hat seit den Tagen des 260D den Hang zur Dieseltechnologie nicht verloren und trieb die Entwicklung sowohl beim ersten Serien-Fünfzylinder im 240D 3.0 als auch beim ersten Turbodiesels im 300 TDT weiter voran; die Weltrekorde des C111-III Diesel sollten hier 1976 das technisch Machbare zeigen. Hans Scherenberg verließ im Dezember 1977 seinen langjährigen Arbeitgeber und trat in den Ruhestand. Er soll privat eine umfangreiche Uhrensammlung besessen haben.
Rudolf Uhlenhaut
(15.07.1906 in London - 08.05.1989) Abitur 1926, 1931 Dipl.-Ing. Fachrichtung Maschinenbau (TH München), Dr.-Ing. e.h. seit 1972 (verliehen u.a. für die Verdienste um Fahrverhalten und Fahrsicherheit). Uhlenhaut kam im Juli 1931 als Versuchsingenieur zu Daimler-Benz und schlüpfte ab Oktober 1936 bis ins Jahr 1939 in die Rolle des technischer Rennleiters neben Alfred Neubauer. Die Silberpfeile Typ W25 hatten nach zwei erfolgreichen Jahren hinter Alfa und Auto-Union das Nachsehen. Uhlenhaut legte eigenhändig 6000 Kilometer auf dem Nürburgring zurück, um Erfahrungen zu sammeln, Fehler zu identifizieren und zu beseitigen. Das Chassis wurde daraufhin verstärkt, die Federwege vergrößert und weichere Federn verwendet, um die Bodenhaftung zu erhöhen. Die überarbeiteten Rennfahrzeuge erhielten die Baureihenbezeichnung W125 und sicherten Caracciola die Europameisterschaft 1937. Nach 1939 setzte Daimler-Benz den jungen Ingenieur in der Motorenabteilung sowie als Werksleiter ein. Nach dem Krieg mußte sich Uhlenhaut übergangsweise mit allerlei Hilfsarbeiten durchschlagen. Doch ab Februar 1948 öffneten sich für ihn wieder die Tore beim Daimler (Leiter des PKW-Versuchs), und im Oktober 1953 ernannte man ihn erneut zum Leiter der Rennabteilung. Als Mercedes in den Rennsport zurückkehrte, fiel die Entscheidung auf eine neu entwickelte hintere Radaufhängung, die sogenannte Eingelenk-Pendelachse mit tiefgelegtem Drehpunkt (Anmerkung: Die Rennsport-Achse ist aufwendiger gestaltet als diejenige, welche im PKW-Programm zum Einsatz kommen wird). Die Ende der 1930er Jahre verwendete DeDion-Achse zählt im Prinzip zu den Starrachsen, deren Eigenschaft es ist, daß sich die Räder bei Bodenunebenheiten gegenseitig beeinflussen. In manch Fahrsituation konnte man ein Springen der Räder bei welliger Fahrbahn und vollem Beschleunigen erkennen. Mit dem Einsatz der Eingelenk-Pendelachse verschwand der Effekt. Diese Achskonstruktion meldeten Scherenberg, Müller und Uhlenhaut 1953 zum Patent an. Aber er war nicht nur Techniker: Uhlenhaut hatte das Talent eines Top-Rennfahrers erster Klasse! Kein Geringerer als Karl Kling nahm die Zeit bei einer Runde, als Uhlenhaut über drei Sekunden schneller war als der amtierende Weltmeister Fangio; solch Kuriositäten schafften es sogar in die schwäbische Tagespresse. Er war immer als Ersatzfahrer gemeldet, um ggf. Trainingsfahrten bestreiten zu können, ein Renneinsatz war aber nie vorgesehen. Auch kannte er, nach eigener Aussage, nur sehr wenige Rennstrecken - die Erfahrungen der heute noch bekannten, frühen GP-Piloten war weitaus größer. Neben allen Sportwagen ab 1936 sowie derjenigen der 1950er Jahre zeichnet Uhlenhaut im Serienwagen-Programm verantwortlich für die Modellreihen ab 170V bis hin zum W116 des Jahres 1972. Das Highlight ist sicherlich das gesamte Konzept des 300 SL (W194 & 198) in allen Details der Konstruktion, sowohl für die Rennstrecke als auch später für die Straße. Hier bestand die besondere Herausforderung darin, daß aus Kostengründen ein im Serienprogramm vorhandener Motor eingesetzt werden mußte, der leistungsmäßig nicht auf gleicher Höhe mit der Konkurrenz lag. Um mit dem 300 SL siegreich zu sein, mußten somit andere Merkmale bestimmend werden, wie etwa ein reduzierter Luftwiderstand. Auf den Namen "Uhlenhaut" hören zwei Coupés auf Basis des W196, die beide silbern lackiert sind, sich aber in der Farbe der Innenausstattung unterscheiden. Seit September 1972 in Pension, übernahm danach Friedrich van Winsen die Leitung der PKW-Entwicklung. Van Winsen arbeitete zusammen mit Scherenberg bei Gutbrod und wechselte 1953, also kurz nach diesem, zu Daimler-Benz. Man muß es gesondert herausstellen: Der Leiter der PKW-Entwicklung bei Mercedes-Benz bis 1972 war Rennleiter der legendären Silberpfeile in den 1930er und 1950er Jahren! Uhlenhaut genoß über seine Fähigkeiten als Ingenieur hinaus allerhöchstes Ansehen aufgrund seines herzlichen und motivierenden Umgangs mit Menschen. Erich Waxenberger sagte über ihn: "Der beste Chef, den wir haben konnten."
Erich Waxenberger
(geb. 9. April 1931 in Miesbach - 18. Juli 2017) Dipl.-Ing. (FH), Studium an der Akademie für angewandte Technik in München mit Abschluß in 1953, kam im gleichen Jahr zu Daimler-Benz als Mitarbeiter der Versuchsabteilung. Waxenberger sah sich selbst vorrangig als ‘Fahrwerkmann’, war aber auch zuständig für die Erfüllung von Sonderwünschen mancher DB-Kunden und besaß für diese Zwecke ein spezielles Budget aus der PR-Abteilung. Er fuhr parallel zu Eugen Böhringer auch Rennen auf dem W112, also der 300 SE Heckflosse, mit. Einige Jahre später erfolgte dann die Implantation des 6,3-Liter-V8 in unterschiedliche Fahrzeuge. Diesen Motor testete man im 190 SL, in der Pagode und - als erstem Modell überhaupt - in einem "übriggebliebenen" W111 250 SE Coupe, zunächst noch ohne Wissen und Absegnung durch Rudolf Uhlenhaut. Letzterer erfuhr von der Existenz des großvolumigen V8 in kompakter Coupe-Karosse erst, als Waxenberger an dessen offenem Bürofenster vorbeifuhr. Der Einbau des M100 erfolgte später bekanntermaßen auch in den W109. Ausschlaggebend für das Unterfangen allerdings seien ursprünglich die Äußerungen des damaligen AMS-Chefredakteurs Heinz-Ulrich Wieselmann gewesen, die Schwaben würden - sinngemäß - nur noch langsame Autos für Senioren bauen. Derselbe Wieselmann fuhr in den 50ern ja für sein Magazin die Sportwagen-Ikone 300 SL. Ein weiterer Grund für die Tests mit dem W100 in unterschiedlichen Karossen war aber auch, daß viele Tourenwagen-Privatfahrer auf Mercedes-Modellen werksseitig bis maximal Mitte der 60er unterstützt wurden, diese aber Möglichkeiten suchten, weiterzumachen. Von extern kam deshalb die Anfrage, ob man nicht einen Tourenwagen auf Basis eines 6.3 aufbauen könnte. Mercedes-Benz nutzte die Gelegenheit und präparierte selbst drei Fahrzeuge - nachdem Waxenberger im fernen Macao im Jahr 1968 gezeigt hatte, daß das Auto tatsächlich siegfähig war, mit ihm selbst am Steuer. Doch Komplikationen mit dem Reglement der FIA hinsichtlich der Kotflügelverbreiterungen und der erlaubten Reifenbreite führten dazu, daß Mercedes sich entschloß, vom offiziellen Renneinsatz endgültig abzusehen. Denn: 1969 hielten in Spa die Reifen in normaler Breite nur fünf Runden (~ 70km), dann lösten sich die ersten Teile des Profils. Man hätte zwecks Homologation Verbreiterungen für Kotflügel und Felgen auch irgendwie als Ersatzteile für normale Serienfahrzeuge deklarieren müssen, was man aber unterließ. Für den ärgsten Big-Block-Konkurrenten, einem Camaro SS, waren bereits 10 Zoll breite Felgen freigegeben. Waxenberger fuhr 1969 mit Kurt Ahrens zuammen im Test auf Platz sechs; Jacky Ickx teilte mit, die Vmax der Autos lag bei 265 km/h. Die drei vorbereiteten Fahrzeuge wurden nun doch nicht eingesetzt, sie gingen anscheinend nach Finnland (1) sowie recht sicher zu AMG (2), welche dort bis zum Ende der Saison 1971 dann doch noch mehrere Rennen bestritten. Erich Waxenberger blieb hierbei als Ansprechpartner für alle Weiterentwicklungen erhalten, hielt bei Trainings mit diesen Boliden inoffiziell einige Male selbst das Steuer in den Händen, durfte aber später nach interner Anweisung direkt von Scherenberg nicht einmal mehr zu Trainingsfahrten reisen, um keine Gerüchte aufkommen zu lassen, Mercedes würde an eine Rückkehr in den Rennsport denken. Denn genau das wurde 1969 bereits in der Presse als (kleine) Sensation gedruckt. Mitte der 70er war Erich Waxenberger einer der Fahrer beim Aufstellen der Weltrekorde im C111-Turbodiesel. Von 1978-1981 war er Rennleiter für die Rallye-Einsätze und legte die Spezifikationen für mehrere Fahrzeuge vom Typ 280 E und 450 SLC fest. Der M110 kam 1978 auf ca. 220 PS und schaffte die 0-100 km/h in genau 8 sec, der SLC leistete 1979 300 PS. In diese Epoche fiel auch die ganz kurze Zeit der Zusammenarbeit mit Walter Röhrl als Pilot der Wahl für die Rallye-SLC. Die Position von Waxenberger bei DB lautete ab 1981 Abteilungsleiter in der Vorentwicklung Versuch, von 1992 an Leiter der Vorentwicklung Versuch Aggregate und Gesamtfahrzeug, bis zur Pensionierung 1996. Ein ehemaliger Mitarbeiter weiß zu berichten, daß Erich Waxenberger bei den üblichen Testfahrten von Daimler-Benz auf dem Nürburgring sich als Fahrer grundsätzlich unter den schnellsten sah, allerdings häufiger durch seinen Kollegen Bensinger, der später zu Audi ging und dort den Fahrversuch leitete, auf die Plätze verwiesen wurde. Auch soll “Hot Wax”, wie ihn ein amerikanischer Journalist einmal nannte, im Laufe seiner Karriere einige Fahrzeuge "gehimmelt" haben - Rudolf Uhlenhaut ließ ihn trotz aller Kritik aus den eigenen Reihen aber weiterhin ans Lenkrad, weil er eben einer der wenigen war, die die Autos tatsächlich bis an die Grenzen belasten konnte. Erich Waxenberger ist es auf jeden Fall zu einem größeren Anteil zu verdanken, daß in der offiziell abstinenten Zeit zwischen 1955 und 1988 Mercedes zumindest ein wenig Rennsport betrieb, und: Ohne ihn hätte es nie den 300 SEL 6.3 gegeben! Die Sterntwiete hat Erich Waxenberger 2005 in Darmstadt zum Jubiläum “40 Jahre Mercedes W108” noch erleben dürfen, und dort teilte er auf meine Frage hin mit, daß er mit der Eingelenk-Pendelachse schneller um Kurven gefahren wäre als mit der Schräglenkerachse (Hintergrund: Die Eingelenk-Pendelachse verhält sich in Kurven wie eine Starrachse, sie verbleibt weitgehend sturzkonstant zur Fahrbahn, während sich bei Einzelradaufhänungen wie der Schräglenkerachse die Räder zusammen mit dem Karosserie in der Kurve zur Seite “neigen”).
Karl "Charly" Wilfert
(1.7.1907 - 8.3.1976) Dr.-Ing. e.h., 1922-1926 Maschinenbau-Studium in Wien, bis 1929 als Konstrukteur bei Steyr, ab 1929 bis zur Pensionierung 1974 in Diensten von Daimler-Benz als Leiter der Karosserieentwicklung. Mitte bis Ende der 1930er Jahre entwickelte Wilfert zusammen mit Barenyi die Vorstufe der gestaltfesten Fahrgastzelle mit Knautschzonen, einen speziellen Plattformrahmen, der sogar schon Maßnahmen zum Schutz gegen Seitenaufprall aufwies. Während des Krieges war Wilfert als Oberingenieur im Flugmotorenbau und als Leiter eines Produktionswerkes in Schwäbisch Gmünd tätig. Die Fortsetzung im Sindelfinger Karosseriebau begann 1949; eine Ergänzung erfuhr sein Verantwortungsbereich ab 1954/1955 durch die neue Stilistik-Abteilung, welcher neben Friedrich Geiger später noch Paul Bracq und Bruno Sacco angehörten. Karl Wilfert arbeitete auf das Engste mit Bela Barenyi zusammen; viele der Innovationen in der PKW-Sicherheit müssen beiden Vordenkern zugeordnet werden. Wilfert kümmerte sich genauso wie Barenyi um die systematische Entwicklung der Fahrzeugsicherheit. Das Gesamtkonzept wurde in jahrelanger Diskussion immer wieder angepaßt und später mit den zwei wesentlichen Kategorien aktive und passive Sicherheit veröffentlicht. Noch Mitte der 1950er Jahre zeigte sich Wilfert skeptisch gegenüber der praktischen Nutzung zweier Sicherheitseinrichtungen, ohne die heute kein Auto verkauft wird: Der Sicherheitsgurt ("zu unbequem") und der Airbag; damals wurde dieser Begriff nicht verwendet, man sprach eher vom "Vorspringen gepolsterter Schutzvorrichtungen". Allerdings erfolgte früh ein Umdenken, trägt doch das Patent für einen "Aufblasbaren Behälter zum Schutz der Insassen von Fahrzeugen" vom August 1966 seinen Namen. Gleiches gilt für das Patent zum Sicherheitszapfenschloß 1949 und eine deformierbare Lenkradnabe 1960. Daß ab 1959 (Heckflosse) in DB-Fahrzeugen weniger Holz verwendet wurde, geht auch auf Untersuchungen der Wilfertschen Abteilung zurück, die Verletzungsgefahr beim Splittern bereitete hier zu große Sorgen. Wilfert war regelmäßig Teilnehmer und Redner bei den Stapp Car-Crash-Konferenzen in den USA. Man sollte in ihm aber nicht nur einen "Karosserie-Bauer" sehen, sondern auch den verantwortlichen Designer, im daimlerdeutschen Wortschatz als Stilist bezeichnet.Auf dem Weg zum W116 gab es im PKW-Versuch einen sogenannten Wilfert-Wagen, ein W109 mit verbreiterter Kühlermaske, W116-Heckleuchten und vollständig überarbeitetem Innenraum unter flächendeckender Verwendung von Polsterungen. Viele Zeitgenossen haben Karl Wilfert einen hohes Maß an Selbstbewußtsein nachgesagt, andere einen Hang zur Überheblichkeit, denn Wilfert soll einige Male zur Durchsetzung seiner Ideen mit Kündigung gedroht haben. Der Stellvertreter von Karl Wilfert war seit 1971 Werner Breitschwerdt, welcher auch zwei Jahre später sein Nachfolger wurde. Folgendes Statement, welches Wilfert zugeschrieben wird, kann man als dessen Philosophie des Schaffens deuten: “Die Form und Konstruktion einer Karosserie müssen aus den technischen Erkenntnissen, Verkehrs-Notwendigkeiten und unter Berücksichtigung des Komfort-Anspruches ihrer Zeit heraus entwickelt werden, wobei die Grenzen durch technologische Möglichkeiten gesetzt sind. Diese Faktoren sind aber einem steten Wandel unterworfen, so daß die Automobil-Entwicklung weder zum Stillstand noch zu einer Endlösung kommen wird. Die ausschließliche Verwendung rein modischer Einfälle kann die Fahrzeuge direkt oder indirekt verkehrsgefährdend machen. Auf jeden Fall sind rein modische Formen auch beim Automobil einem raschen Wechsel des Geschmacks unterworfen, wodurch es dann frühzeitig entwertet wrird. Nicht die Mode sollte im Karosseriebau vorherrschend sein, sondern die beste Funktion - denn letzten Endes ist das technisch Richtige immer schön!”
Arnold Wychodil
(8.6.1909 Müglitz - 31.3.1977) Studium an der Hochschule für Welthandel in Wien, Abschluß Diplom-Kaufmann 1931. Begann 1936 seine Karriere bei Daimler-Benz als Assistent in der Rennabteilung, unter seinem Onkel Alfred Neubauer. Wychodil leitete während des Krieges ein Werk für die Produktion von Flak-Scheinwerfern, setzte sich im Hintergrund intensiv für Entwicklungsarbeiten eines eventuellen Nachkriegs-Modellprogramms ein, obwohl die Reichsregierung 1942 die Herstellung von Privat-PKW untersagte, schied aber, wie viele andere Mitarbeiter der Daimler-Benz AG, für kurze Zeit aus Stuttgarter Diensten aus. 1949 kehrte er zurück und erhielt die Zuständigkeit für den Export. Schon 1952 wurde Wychodil als Stellvertreter in den Vorstand berufen, gleichzeitig erfolgte der Markteintritt der Stuttgarter auf dem nordamerikanischen Kontinent; bereits zwei Jahre später war Wychodil ordentliches Vorstandsmitglied. Wychodil setzte sich mit Nachdruck für die zeitnahe Serienfertigung des 300 SL und des 190 SL ein. Der wichtigste internationale Markt während des Export-Aufbaus war in den frühen 50ern - etwas unvermutet - Schweden, darauf folgten Belgien und die Schweiz als bedeutende Absatzgebiete. In dieser frühen Aufbauphase herrschte der strikte Grundsatz, daß in den jeweiligen Ländern nur selbständige Generalvertreter - in Zusammenarbeit mit weiteren Vertragshändlern - die Märkte zu bedienen hatten; Daimler-Benz wollte vorerst keine eigenen Vertriebsorganisationen (Tochtergesellschaften) gründen: "Das (unternehmerische) Risiko müsse enden, sobald ein Auto das Werksgelände verlassen hat" (Zitat Wychodil '100 Jahre Daimler-Benz'). Jedoch machten die Stuttgarter verbindliche Vorgaben zu Kundendienstleistungen und Umfang der Ersatzteilversorgung, um keine Einbußen bei den mit dem Stern verbundenen Qualitätsmaßstäbe befürchten zu müssen; nach Wychodils Auffassung wären Qualität und Kundendienst die beste Werbung. Ein Umdenken bezogen auf das Engagement im internationalen Umfeld fand dann mit der kontinuierlichen Erschließung des US-Marktes statt, wobei man leider einige Rückschläge hinnehmen mußte. Zunächst einmal suchte Maxie Hoffman als etablierter Händler für exklusive europäische Fahrzeuge (u.a. Porsche) Kontakt zu den Stuttgartern, nicht zuletzt aufgrund der sensationellen Sporterfolge, und überzeugte die Schwaben hinsichtlich Aufnahme von Beziehungen, welche mit ihm noch 1952 einen Vertrag schlossen. Die europäischen 220 und 300 allerdings ließen sich nicht zwingend erfolgreich absetzen, insbesondere aufgrund der Tatsache, daß wichtige Ausstattungsmerkmale wie Servolenkung und Automatikgetriebe nicht zur Verfügung standen, im Zielmarkt allerdings schon fast als Standard vorausgesetzt wurden. Einen Schub der Nachfrage nach Mercedes-Fahrzeugen erzeugte man durch die Präsentation der Modelle 190 und 300 SL 1954 in New York; beide auch erst durch Anregung von Hoffman für eine Produktion in Serie möglich geworden. Diese Entwicklung war auch im Sinne von Wychodil, schließlich "sei es undenkbar, daß Daimler-Benz keinen Sportwagen mehr baue". Hoffman hatte allerdings geringes Interesse an professioneller Expansion, und vernachlässigte den Aufbau einer Serviceorganisation. Dadurch lösten die Stuttgarter die Verbindung, suchten einen neuen Partner und fanden diesen 1957 in Studebaker-Packard. Doch auch hier überwogen die Probleme: Neben der Tatsache, daß Studebaker-Packard gar keine Premium-Modelle mehr anbot, traten finanzielle Schwierigkeiten auf. Den US-Partner stufte man kurze Zeit später nur noch als Imagebelastung für Mercedes-Fahrzeuge ein. Letztendlich entschloß sich Wychodil doch, eine eigene Tochtergesellschaft zu gründen (1965): Mercedes-Benz of North America. Der US-Markt wird Jahre danach der Exportmarkt Nr.1 für Daimler-Benz-Fahrzeuge. 1955 konnte Wychodil das Anwachsen des Export-Gesamtvolumens auf 500 Mio. DM als Erfolg verbuchen, welches nur zehn Jahre später auf den dreifachen Wert anstieg. Mercedes-PKW kosteten im Ausland durchschnittlich zwischen 130-170% des Bruttopreises in Deutschland. Auf Arnold Wychodil geht die Gründung des Kundenmagazins "Mercedes-Benz in aller Welt" zurück.
Joachim Zahn
(24.01.1914 in Wuppertal - 08.10.2002 in München) Prof. Dr. jur., studierte wie schon sein Vater Rechtswissenschaften, dies in Tübingen, Köln und Königsberg. Er wußte schon früh, daß er beruflich die Juristerei mit der Betriebswirtschaft verbinden wollte. Zahn begann im Staatsdienst und wechselte 1945 zur Deutschen Treuhandgesellschaft. Hier lernte er das Unternehmen Daimler-Benz gründlich kennen, da Zahn an der DM-Eröffnungsbilanz der Stuttgarter AG mitarbeitete. Ab 1955 wurde er in den Vorstand der Aschaffenburger Zellstoffwerke berufen, und kam drei Jahre später als Vorstand für Finanzen zu Daimler-Benz. Nach dem Rückzug Walter Hitzingers ernannte man Joachim Zahn zunächst zum Sprecher des Vorstands, was ihn nach Aussage von Edzard Reuter "mächtig gewurmt" hatte, weil die Autorität gegenüber dem Posten des Vorsitzes formell eine geringere war. Erst 1971 belegte er die Top-Position des Fahrzeugherstellers. Diese Verzögerung erfolgte deshalb, weil zwischen Zahn und dem DB-Aufsichtsratsvorsitzendem sowie Vorsitzendem der Deutschen Bank Hermann Josef Abs eine merklich ausgeprägte (und gegenseitig bestehende) Abneigung herrschte.*1 Als Highlight in der Karriere von Joachim Zahn wird häufig der Verkauf der Auto-Union 1965 an Volkswagen genannt. Zahn erreichte hier durch ausgeklügelte finanzwirtschaftliche Vorgehensweise eine vorteilhafte Transaktion für die Stuttgarter, besonders in steuerlicher Hinsicht; das Werk Düsseldorf verblieb hierbei im Besitz von Daimler-Benz. Die Leistungen von Zahn werden unterschiedlich gewertet: Auf der einen Seite überstand Daimler-Benz die Zeiten der Ölkrise als einziger Fahrzeughersteller ohne Kurzarbeit, was auch dazu führte, daß Zahn 1974 zum Manager des Jahres gewählt wurde. Andererseits zeichnet die DB-Chronik das Bild eines Firmenvorstands, welcher in Hinblick auf unternehmerisches Handeln etwas zaghaft agierte, Chancen des Marktes unterbewerte und Risiken überbetonte. Folgendes Zitat mag seine Grundhaltung wiedergeben: “Als eine der wichtigsten methodischen Voraussetzungen für eine nachhaltig erfolgreiche Arbeit ... sehe ich die Systematik des Denkens und die Bereitschaft an, in alle Überlegungen echte Alternativen einzubeziehen. Wenn ... ein Problemkreis auftaucht, sollte man ... mit einem ersten ... Eindruck an die Dinge herangehen, sich sodann aber bemühen, die anstehende Frage in ihre wesentlichen Elemente aufzugliedern und sorgsam die Vor- und Nachteile der möglichen Lösungen abzuwägen. Sie können das analytische Denkweise nennen.” Zahn leitere das Unternehmen als Nichttechniker; das Zitat aus einem Interview zeichnet das Bild eines Unternehmers, der eine Entscheidungssituation offenbar erst in aller Breite berücksichtigen wollte - so kommt man selten zügig zu einem Ergebnis und so handeln diejenigen, die möglichst gar keine Fehler machen möchten. Die Sicherung der Liquidität hatte unter Zahn stets Vorrang gegenüber der Rentabilität; letzteres allerdings ist für Anleger, also potentielle Fremdkapitalgeber für eine Aktiengesellschaft, zweifelsfrei die entscheidende Größe. Seinen Nachfolgern warf Zahn vor, sie hätten "sein Erbe vertan". Edzard Reuter dagegen, der Zahn im Amt des Finanzchefs folgte, zeigte auf, daß die Liquidität sowie der Gesamtwert der AG nur wenige Jahre nach dem Führungswechsel auf Prinz und danach auf Breitschwerdt deutlich anstiegen. Langjähriger Gegenspieler von Zahn war Hanns Martin Schleyer; im Vorstand von Daimler-Benz begegneten sich hier zwei vollständig unterschiedliche Charaktere, wobei sich bekanntlich Zahn durchsetzen konnte. Joachim Zahn war Mitglied von Aufsichtsräten vieler deutscher Unternehmen, so etwa von Hanomag-Henschel, MTU und auch einer Versicherung. Er schied Ende 1979 aus dem Unternehmen aus, blieb aber dem Unternehmen als Aufsichtsratmitglied sowie als Berater von Jürgen Schrempp noch lange Jahre erhalten. Nach eigener Aussage wäre sein Traumberuf eher in den Geschichtswissenschaften zu finden.
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*1 “Milchzahn, Wiesel und Fuchs” - Spiegel-Online berichtet in Artikel 1 und Artikel 2.
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